Welchen Gott erwarten wir? Am 3. Advent zu Jesaja 40,3.10
„Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, er kommt gewaltig!“ Dieses Wort der Bibel weckt meine Zweifel: Auf der einen Seite rührt es tatsächlich an echte Erwartungen: Ja, Gott möge endlich kommen, und zwar gewaltig! Er soll die Kriege löschen samt Ausbeutung und Vertreibung! Kein Hunger soll mehr sein, keine Menschenverachtung, keine Vergewaltigungen, keine Folter. Krankheit und schlimmer Tod sollen nicht mehr sein. Wie schreien oder wimmern auf Erden Millionen von Menschen auch in dieser Stunde? „Gott komm, hilf mir und rette mich!“
Auch die Hl. Drei Könige haben von Gott erwartet, dass er ‚gewaltig‘ kommt. Sie suchten ihn zunächst im Palast des Herodes. Der Stern hatte Mühe, sie umzulenken nach Bethlehem in den Stall. Geht es uns nicht ähnlich mit unserem Glauben? Ist Gott ‚allmächtig‘? Wir müssen zugeben: Er bleibt unsichtbar und tut nichts. Auch Judas, der Jünger Jesu musste das einsehen. Er hoffte, dass Jesus die Römer aus dem Lande jagt. Sein letztes Druckmittel war, für Jesu Verhaftung zu sorgen. Doch Jesus wehrte sich nicht, sein Auftritt war nicht ‚gewaltig‘. Das ist das Problem bis heute: Müssen wir unseren Glauben lassen und uns in der Welt einrichten ohne Gott? Judas nahm sich das Leben.
Ich schildere das so drastisch, weil wir auch in den Wochen vor Weihnachten begleitet werden von der Frage: Wer stoppt die Machthaber im Jemen, im Süd-Sudan oder in Syrien? Passen dazu unsere Kerzen und Lieder? Ja, sie passen. Der Advent ist keine Flucht in Romantik und Herzenswärme. Er bietet uns eine echte Alternative zur Gewalt. Wir erwarten einen anderen Gott. Das hat Jesus schon getan. Darum musste Judas an ihm verzweifeln.
Wir suchen Gott im Dunkeln, wir schreiben liebevolle Karten und hören Chöre und Konzerte, wir holen uns einen grünen Baum nach Hause und bauen die Krippe auf mit dem Kind. Das machen wir alle Jahre wieder. Warum ist das so? In den Weihnachtsvorbereitungen lebt unser Herz. Es ahnt: Die Wahrheit des Lebens lässt sich jetzt leichter finden. Es muss ein Geschenk geben jenseits aller Geschenke.
Ist es das Bild dieses Kindes? Es sieht so aus, als würden wir dort der Kraft begegnen, die die verschiedenen Fäden unseres Lebens zusammenhält. In uns konkurrieren so viele Ansprüche. Das ganze Jahr über verstummen sie nicht. Da sind die Familie und der Beruf, auch die Kirche und Religion. Ist es nicht so, dass uns die Krippe in ihrer Einfachheit wie eine rettende Mitte erscheint? Dort wollen wir hin, und zwar alle. Anders kann ich mir die Hektik dieser Wochen nicht erklären.
„Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt … wie? … gewaltig“? Nein, er kommt als Kind. Die Weihnachtsgeschichten wurden zwar erst später geschrieben, das wissen wir. Aber sie sind keine Märchen. Ihre Wahrheit tragen sie in sich wie einen Zauber. Sie fassen die Botschaft Jesu in einer einzigen Erzählung zusammen. Sie bringen Jesus auf den Punkt. Niemals würden wir sie uns nehmen lassen.
An Weihnachten gehen Menschen in die Kirche, die sie sonst kaum betreten. Da kann jeder dabei sein, ohne in Konflikte zu geraten mit seinem eigenen religiösen Leben. Das ist so, weil Weihnachten uns direkt anspricht, ohne den Umweg über Dogmen oder Listen einer Kirche. Zu Weihnachten leben wir eine andere Frömmigkeit. Keiner muss sich verteidigen. Wir folgen einer gemeinsamen Hoffnung, einem positiven Ziel. Da macht es fast nichts, wenn uns das Bild von Gott verschwimmt oder manchmal sogar völlig verloren geht.
Unser Glaube bekommt Bilder angeboten, gleichsam Urbilder der Menschheit, z.B. den Baum. Der Christbaum ist das wichtigste aller Weihnachts-Symbole, rund 30 Millionenmal wird er gekauft in Deutschland. Er weckt die tiefe Ahnung davon, wie das Leben im Einklang mit Gott und der Natur sein könnte: das Paradies auf Erden. Die Klimakonferenz der letzten Wochen passt dazu. Immer wieder glauben wir daran, dass es so etwas wie eine ‚heile Welt‘ geben könnte.
Deshalb stelle ich noch eine andere Frage: Warum ist uns die „weiße Weihnacht“ so wichtig? Warum gehören beide, der Schnee und Weihnachten, so nah zusammen? Worin liegt das Geheimnis des weihnachtlichen Schnees? Ich meine, auch der Schnee erzählt von dieser Urhoffnung. Er hüllt alles unter eine gemeinsame Decke, alles rückt näher zusammen: Arm und Reich, Schönes und Hässliches, Altes und Neues.
Elia, der Prophet, hat Gott so ähnlich erfahren - wenn auch ohne Schnee, dafür war es zu heiß in seinem Land. Verzweifelt hat er sich in eine Höhle geflüchtet und wartet nun darauf, dass Gott Stärke zeigt. Gott stellt sich ihm tatsächlich vor: Zuerst kommt ein Sturm, der die Berge zerreißt und die Felsen zerbricht. Doch dann heißt es: ‚Gott war nicht im Sturm‘. Dann folgt ein Erdbeben. Doch ‚Gott war nicht im Erdbeben‘. Nach dem Beben lodert ein Feuer. Doch ‚Gott war nicht im Feuer‘. Nach dem Feuer folgt ein sanftes, leises Säuseln. Elia muss akzeptieren: Darin begegnet mir Gott (1Kön 10).
Deshalb erlaube ich mir zu sagen: Gott erfahren wir auch im Schnee, wie er leicht und mit weit offenen Armen alles einhüllt, liebevoll wie in ein Tuch. Er weiß etwas vom Weihnachtsfrieden.
Der Weihnachtsglaube tut uns Christen gut. Das Kreuz tritt in den Hintergrund, wir sammeln uns um die Krippe. Unser Herz weiß: Hier in Bethlehem werden wir mit Gott versöhnt und nicht auf Golgatha. Das Kind, das Bild des Lebens wird zum Modell, auch zum Modell Gottes.
Man mag sich ja wundern, warum wir an Weihnachten nie von Christi ‚Geburtstag‘ sprechen, sondern immer von seiner ‚Geburt‘. So als würde er immer wieder neu geboren, heute und nicht nur vor 2000 Jahren. Vergleichen wir das z.B. mit Goethe: Er ist am 28. August 1749 geboren. Wir würden ihn niemals an jedem 28. August als Kind betrachten, sondern vielleicht eines seiner Bücher in die Hand nehmen. Anders ist es bei Christi Geburt: Es ist, als würde er zu Weihnachten neu geboren.
Ich höre da etwas Wichtiges heraus: Christus, die Welt, wir selbst, alles ist im Werden. Wir denken prozessorientiert. Wenn wir Weihnachten feiern, dann setzen wir zur Sterblichkeit des Menschen ein Kontra: Lassen Sie mich das nennen ‚Geburtlichkeit‘. Das ist ein ungewohntes Wort, aber es bezeichnet einen neuen Wert. Wir müssen es so kompliziert benennen, sonst gelingt es nicht, dieses negative Wort „Sterblichkeit“ zu besiegen. Wir feiern an Weihnachten die Geburt. Seit der Geburt ist jeder Mensch ein Anfänger und bleibt es sein Leben lang. In den Anfängen erleben wir Gott. So wird es auch sein, wenn wir sterben.
Das ist das Geheimnis eines Kindes: Es weckt unsere Liebe durch sein bloßes Dasein. Wäre das ein Modell dafür, wie wir mit uns selber umgehen? Geliebt werden dafür, dass wir da sind? Ein Modell dafür, wie wir mit anderen umgehen, von der Familie bis zu den heimatlosen Menschen auf unseren Straßen? Sie lieben für nichts anderes als dafür, dass sie da sind?
Nein, der Herr kommt nicht gewaltig, er kommt als Mensch. Amen