Weihnachten: Die Rückkehr Gottes in die eine Wirklichkeit
Veröffentlicht: Münchner Abendzeitung, Landshuter Zeitung, Straubinger Tagblatt, 23.12.2019
Die Geburt eines Gottessohnes verbinden wir bewusst oder unbewusst gerne mit einer Bewegung von oben nach unten, vom Himmel zur Erde. Denn Gott gehört für uns noch immer zu einer anderen Welt ...
Aber Gott ist in der Vorstellung der Menschen nicht schon immer so weit weg gewesen. Die Erzählung vom Paradies sagt, dass er in dem schönen Garten spazieren ging, umgeben von Pflanzen, Tieren und Menschen. Und der Mythos von der Erschaffung des Menschen weiß, dass Gott und seine Geschöpfe durch den „Lebensodem" mit einander verbunden sind, den Gott dem ersten Menschen und allen anderen danach – bildlich gesagt – ‚eingehaucht‘ hat. Alles Leben hat also einen gemeinsamen Anfang, alles Lebendige ist mit einander verwandt. Das weiß auch die Evolution.
Aber weil die Menschen eigensinnig waren und Gott nicht gehorchten, hat Gott sich, nach der Meinung der Theologen, irgendwann in den Himmel hoch über den Menschen zurückgezogen. Der vermutete Aufstieg Gottes hat den Menschen das Gefühl vermittelt, allein gelassen zu sein. Zurück geblieben sind seine Gebote, und mit denen herrschten die Priester. Bei Juden und uns Christen kam als seelische Last hinzu, dass selbst die, die Gutes tun wollten und dennoch scheiterten, als Feinde Gottes behandelt und mit der Hölle bedroht wurden. Selbst die leibliche Liebe, ohne die das Leben doch nicht weitergehen kann, wurde irgendwann zur Sünde erklärt.
Weil ähnliche Gedanken weit verbreitet waren, ist es kein Wunder, dass viele Religionen den Menschen versprachen, sie könnten unter bestimmten Bedingungen Gott auf dem Weg nach oben folgen. „In den Himmel kommen!“ – das war die Devise. Sie wurde mir noch als Kind als das Lebensziel vermittelt. Wer alle Gebote hielt, hatte gute Chancen, das Ziel zu erreichen. Aber auch schon weit vor Christus erzählte man von Erlösergestalten, die zur Erde kamen und dann die Menschen mit sich in den Himmel zogen. Weg von hier, und himmelan! Und auf der Erde musste vor allem zur Sexualität Distanz gehalten werden – sofern sie nicht zur Zeugung des Nachwuchses nötig war.
II. Das hat Folgen gehabt: Nichts war so wichtig geworden wie der Himmel irgendwo und das Leben dort. Das Geschöpfliche, ja, vor allem die Sterblichkeit, wurde als Makel erachtet, obwohl die Sterblichkeit das Leben doch vor der Vergreisung bewahrt. Erde, Tiere und abhängige Menschen konnten systematisch ausgebeutet werden. Und so nahm das Elend der Umweltzerstörung seinen Anfang und Lauf. Der Ausgang der Klimakonferenz in Madrid vor zehn Tagen hat gezeigt, wie unbeirrbar viele Staaten noch immer die Zukunft des Lebens aufs Spiel setzen, wenn es um ihre wirtschaftlichen Interessen geht. Das Leben wird verbraucht, statt geschützt zu werden. Den Boden für dieses Verhalten hat die lange eingeprägte Geringschätzung alles Irdischen bereitet.
Weil es diese Tendenz und damit verbundene Flüchtlingsströme schon vor unserer Zeitrechnung gab, musste irgendwann eine Wende kommen. Es musste, christlich gesagt, Weihnachten werden: Und das heißt: Der ersehnte Himmel musste auf die Erde kommen und auf ihr und für alle erlebbar Wirklichkeit werden. Darum ist, theologisch gesprochen, Gott Mensch geworden – genauer: wieder Mensch geworden. Das ist das Evangelium von heute. Denn damit hat sich der Weg geändert, auf dem wir Menschen mit Gott in Verbindung kommen können. Wir müssen nicht mehr aufsteigen, nicht mehr dem scheinbar entschwundenen Gott hinterher. Wir müssen Gott auch nicht durch unsere Vollkommenheit herbeizwingen, müssen nicht ohne Fehl und Tadel sein. Ein Mensch, der nicht irren, nicht aus Fehlern lernen und niemals schuldig werden darf, ist ein Zerrbild vom Menschen. Wer meint, so sein zu müssen, durchlebt tagtäglich die Hölle, darf nie mit sich zufrieden sein. Eine Kindererziehung nach diesem Maßstab führt zur Verbiegung der Seelen. Um als Menschen zu leben, müssen wir nur eins werden: wirkliche Menschen, also unvollkommene, sterbliche Wesen, die einander achten, nach Liebe und Frieden suchen und anderen helfen, Liebe und Frieden zu finden. „Friede auf Erden den Menschen, weil Gott sie liebt.“ Darum geht es. Alles andere ist zweitrangig.
III. Auf seinem Weg nach Jerusalem hat Jesus gesehen, dass viele Menschen sich abmühten, gut zu sein und so Gott zu gefallen. Ihm wurde klar: Ihnen gegenüber von Gott zu reden, hat nur Sinn, wenn ihnen gesagt wird, wie und wo sie den Weg zu einem guten Leben finden können. Also hat er diesen Weg vorgelebt und verstehbare Gleichnisse von Gott erzählt. Ja, er ist selbst das Gleichnis Gottes geworden: ‚Wer mich gesehen hat, hat Gott gesehen.‘ Ein ungeheurer Satz. Und dazu das neue Gebot: „Dass ihr einander lieben sollt, wie ich euch geliebt habe.“ Im Mittelpunkt dieser Theologie steht keine Drohung, sondern Gott als Helfer der Menschen, ein Gott, der den Menschen dient. Gottesdienst ist seit Jesus Gottes Dienst am Leben.
Durch Jesus ist herausgekommen, dass Gott niemals wirklich „weg“ gewesen ist, sondern immer Weg war: der Weg zum Leben. Dazu passt das Jesuswort: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Entsprechend nannten sich die Jesus-Nachfolger als Gruppe „Der Weg“. Dass die meisten Christen davon gar nichts wissen, liegt daran, dass Vorstellungen von Gott später gerne nach großen Herrschergestalten geformt worden sind. So wie sie und noch gewaltiger ist Gott! dachten Menschen gerne, und meinten Gott und sich damit einen Gefallen zu tun. Darum haben wir es so schwer zu glauben, dass die Liebe die einzige Kraft ist, die die Welt zum Guten hin bewegt. Und doch ist es so. Nur die als Ehrfurcht vor dem Leben gelebte Liebe nimmt alle Formen von Leben wahr und respektiert ihr Recht auf ihre je eigene Art zu leben.
Weihnachten bringt also eine Theologie zur Sprache, die Gott noch einmal von vorne denkt. Darum fängt die Jesus-Geschichte mit seiner Geburt und Kindheit an. Dass Lukas, der die Weihnachtsgeschichte überliefert hat, auch erzählt, dass der zwölfjährige Jesus im Jerusalemer Tempel die Schriftgelehrten herausgefordert und belehrt hat, passt dazu. Diese Szene, so mythisch sie uns auch erscheinen mag, fällt mir immer wieder ein, wenn ich an eins der Jahrhundertereignisse denke, das die Welt 2019 staunen gemacht hat: an den sich weltweit formierenden Schüler*innen-Aufstand „Fridays for Future“. Der Höhepunkt war der Auftritt der körperlich kleinen Greta Thunberg in dem riesigen Szenario der UNO-Vollversammlung. Da stand sie und hat ihren leidenschaftlichen Zorn über die Untätigkeit der Politiker angesichts der drohenden Klimakatastrophe herausgeschrien. Sie und ihre Mitstreiter*innen wollen eine lebenswerte Zukunft haben, und nicht in einen täglichen Kampf gegen den Untergang geraten. Wobei wirklich zum Verzweifeln ist, dass diejenigen, die jetzt über Leben und Tod ihrer Enkel und Urenkel entscheiden, das Schreckliche, das sie verursachen, nicht mehr erleben werden. ‚Nach uns die Sintflut!?‘
Was der zwölfjährige Jesus im Tempel gesagt hat, wissen wir nicht. Gut möglich, dass er heute wie Greta reden würde - oder wie Flüchtlinge, die trotz der Gefahr zu ertrinken übers Mittelmeer zu uns kommen, um Leben zu finden für sich und ihre Kinder. Werden die einen Frieden behalten, werden die anderen Frieden finden? Wird die Botschaft, dass Gott an allen Menschen Wohlgefallen hat, fühlbar, lebbar und also glaubwürdig sein? Die Antwort hängt davon ab, was wir als die jetzt Lebenden tun oder versäumen.
Buchtipp_____________________________
Klaus-Peter Jörns, Liebe kann man nicht begraben. Predigten. Mit einer Liturgie und einem Bekenntnis. Stuttgart 2019. 189 S., 16 Euro.
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