Thesen zum Abendmahl

Thesen zum Abendmahl

Überlegungen bzgl. Abendmahl:
Bibeltreue, Pluarlität, Brotwort, Kelchwort, Argumente, Hellenismus ...

  1. Fundamentalistische „Bibeltreue“ hilft hier nicht weiter.

    Die Unterschiede in den betreffenden Bibeltexten sind erheblich und nötigen zum Weiterfragen: Was ist hier ursprünglicher, was erst später hinzugekommen?
     
  2. Biblisch vorgegeben ist uns nicht die Gleichmacherei,sondern die (auf Jesus hin zentrierte) Pluralität.

    Im Urchristentum wurde das Abendmahl verschieden gefeiert – und verschieden gedeutet (bei Paulus wird kein „Blut“ getrunken).
     
  3. Was in allen vier Texten übereinstimmt, ist der Kernsatz des sog. Brotwortes: „Das ist mein Leib.“

    Jesus (bzw. die aramäisch sprechende Urgemeinde) meinte damit aber nicht den Brotfladen, sondern das Ereignis des gemeinsamen Essens: „So bin ich – Jesus – für euch da.“
     
  4. Das dazu passende (ältere) Kelchwort hat sich am klarsten im Lukas-Evangelium erhalten (Luk. 22,17f).

    Markus und Matthäus überliefern es ebenfalls, aber bei ihnen wirkt es jetzt wie ein (unwichtiger) Anhang.
     
  5. Das (jüngere) „blutige“ Kelchwort wurde offensichtlich aus alttestamentlichen Angaben konstruiert.

    Die entsprechende Auslegungsmethode, die alttestamentliche Stellen aus dem Zusammenhang reißt und ohne Rücksicht auf den ursprünglichen Sinn für die eigenen Interessen nutzbar macht, ist typisch für die nachösterliche Gemeinde, aber ganz untypisch für den historischen Jesus, der souverän („mit Vollmacht“) sprach und nur selten (aber dann treffsicher!) auf das Alte Testament zurückgriff.

    Drei weitere Argumente sprechen dagegen, dass das „blutige“ Kelchwort von Jesus stammt:

    a) Ein Jude trinkt kein Blut, auch nicht symbolisch. Dergleichen wird im Alten Testament streng verboten. Was auch immer mit Opferblut angestellt wird: Getrunken werden darf es auf gar keinen Fall!
    b) Die hebräische Sprache kennt den Doppelausdruck „Fleisch und Blut“. Das Wort „Leib“ bezeichnet dagegen den ganzen Menschen und kann nicht mit „Blut“ ergänzt werden.
    c) Jesus hielt offenbar nichts davon, dass zur Vergebung der Sünden oder zur Herstellung einer guten Gottesbeziehung („Bund“) ein Blutvergießen stattfindet. Das zeigen sein Reden und Handeln in den (synoptischen) Evangelien auf der ganzen Linie.
     
  6. Im hellenistischen Kulturraum hat sich der ursprüngliche Sinn des Abendmahls verändert.

    Während der Hebräer ereignishaft denkt („Was passiert da?“), denkt der Grieche substanzhaft („Was ist das eigentlich?“).
    Darum wird das Deutewort „Das ist mein Leib“ im hellenistischen Denken jetzt (fast unvermeidlich, aber gleichwohl irrtümlich) auf das Brot bezogen.

    Wenn das Brot der Leib Jesu Christi ist – was ist dann der Wein bzw. der Kelch? Auf diese naheliegende Frage gab das alte Kelchwort keine Antwort. Darum geriet es teilweise in Vergessen-heit (so bei Paulus). Stattdessen hat man aus dem Alten Testament zwei neue Kelchworte konstruiert (Mark. 15,24; 1.Kor. 11,25), die diese Frage beantworten sollten (s.o. bei 5.).

    Das (echte oder symbolische) Trinken von Blut war einem hellenistisch geprägten Menschen nicht fremd. Das kannte er aus den sog. Mysterienkulten, wo die Gemeinschaft mit der Gottheit tatsächlich so hergestellt wurde, dass man sich den Gott in symboli-scher Form, d.h. durch Essen und Trinken einverleibte. Dieses Deutungsmuster wurde nun auch an das Abendmahl heran-getragen.
     
  7. Zusammenfassung:

    Das Abendmahl war ursprünglich ein gottesdienstliches Ritual, in dem die gute Nähe Jesu über seinen Tod hinaus immer wieder erfahrbar wurde. Mit vergossenem Opferblut hatte das Abendmahl zunächst gar nichts zu tun. Dieses spätere Missverständnis entstand erst durch die Verbindung von griechischem Substanzdenken mit alttestamentlichen Opfervorstellungen.

(Jörg-Dieter Reuß)

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