Bericht über eine freie Form von Gottesdienst

Bericht über eine freie Form von Gottesdiensten in der Stiftskirche zu Faurndau (bei Göppingen)
Evangelische Gottesdienste in Württemberg sind liturgisch eher karg und minimalistisch. Einzig das „stille Gebet“ nach dem Kollektengebet haben sie den anderen voraus. Und das ist gut so. Sonst stünde die Predigt noch übergewichtiger im Mittelpunkt. Und wo kaum eine Liturgie ist, hat man viel Gestaltungsfreiheit.
Seit etwa vier Jahren bin ich dabei eine Gottesdienstform zu entwickeln, die nicht predigt- und pfarrerzentriert ist. Am Anfang stand ein Versuch, mit zwei Kirchengemeinderäten in einer Passionsandacht zwei Bilder von David und Saul zu meditieren und mit entsprechender Musik darzubieten. Dabei sprach ich mit den beiden KGR in einem freien Gespräch über die Bilder, schrieb ihre Gedanken mit und redigierte sie zu Statements, welche die beiden wieder so ergänzten, umformulierten und auch kürzten, dass es ihre Texte waren. Dieses komplizierte Vorgehen hat sich inzwischen bewährt. Es führt zu durchdachten und lebendigen Texten.
In der Person eines Violinvirtuosen wurde die Dyade „Text und Bild“ musikalisch bereichert. Jochen Brusch aus Tübingen ist von unserer romanischen Kirche und ihrer Akustik so begeistert, dass er mir bei einem Besuch spontan sagte, hier wolle er Bachs Solosonaten spielen. Ich habe ihn sofort engagiert, und seitdem sucht er die Musik zu den Bildern aus. Von ihm kam z.B. der Vorschlag, in der Karwoche Haydns „Sieben letzte Worte unseres Erlösers vom Kreuz“ für Streichquartett zu musizieren. Wir haben die einzelnen Sätze mehrfach angehört, zu sechst, eine Stahlplastik und ein Bild dazu ausgesucht und nach dem intensiven Austausch über Musik und die Kunstwerke haben sich die einzelnen für jeweils ihre Musik und Bild entschieden.
In der Adventszeit hatten wir in diesem Jahr eine Stahlplastik von Werner Stepanek, einem Künstler aus Faurndau. Mir ist wichtig, dass die Kunstwerke von Künstlern aus unserem Bereich kommen. Da gibt es genug qualitativ gute Werke, und die Gespräche bei der Auswahl sind hoch interessant. Anschließende Gespräche von Teilnehmern und Künstlern natürlich auch.
Wir nennen diese Gottesdienste z.B. „eine gute stunde vor dem 3. Advent musik - kunst - texte“. Der Termin ist jeweils freitags um 19.30 Uhr. Wir wollen dem „normalen“ Gottesdienst weder Konkurrenz machen, noch ihn ersetzen, sondern ergänzen. Nach einer Begrüßung mit einer ganz kurzen Einführung in das Thema (z.B. „Aufbruch“) und einem ersten Musikstück werden die Kunstwerke projiziert und die Texte von den Autoren oder einer Sprecherin vorgetragen. Nach Schlusswort und Segen spielt J. Brusch einen Choral solo oder ein Motiv aus der Musik, die er herausgesucht hat.
Der Aufwand ist nicht gering.das fällt deshalb weniger ins Gewicht, weil ich als Ruheständler die Zeit habe, die ich mir dafür nehme. Die Hauptarbeit liegt bei mir. Aber für die Texte sind alle Mitwirkenden verantwortlich. Der Kreis derer, die mitmachen, ist offen. Ich spreche gelegentlich neue an, die mir geeignet erscheinen. Der Gemeindepfarrer hat diese etwas andere Gottesdienstform freundlich unterstützt und mir völlig freie Hand gelassen, was bei unsrer freundschaftlichen Beziehung zu erwarten war. Der Kirchengemeinderat hat es begrüßt, dass diese Gottesdienste zwei oder drei mal im Jahr stattfinden und hat wenn nötig finanzielle Unterstützung zugesagt.
Das Feedback eines befreundeten Arztes: „Als Agnostiker komme ich gerne zu Deinen „guten stunden“. Da denke ich gerne mit.“
- Wichtig ist mir: die Gottesdienste sollen nicht appellativ oder vordergründig missionarisch sein, sondern den spirituellen Horizont erweitern.
- Die Sprache muss differenziert und ohne „Kanzelton“ und „Gschmäckle“ sein.
- Bilder, Musik und Texte müssen qualitativ hohen Ansprüchen genügen.
- Man braucht eine tragende Gruppe, wenn man etwas Tragfähiges anbieten will.
Pfarrer i.R. Gottfried Lutz (+)
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